RECHTLICHE ASPEKTE
- Völkerrecht
- Verfassungsrecht
- Zivilrecht
- Strafrecht
- Kinder- und Jugendhilferecht
- Aufenthaltsgesetz
- Gewaltschutzgesetz
Um die Situation der betroffenen Mädchen und jungen Frauen besser einschätzen zu können, ist es hilfreich, die Rechtslage zu kennen. Dieses Kapitel gibt Ihnen einen ersten Überblick über einzelne gesetzliche Bestimmungen aus ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten.
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an die Fachberatungsstelle gegen Zwangsheirat oder ziehen Sie eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt zu Rate.
Völkerrecht
Artikel 16 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948 bestimmt, dass die Ehe nur auf Grund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden darf.
Eine Zwangsheirat ist somit eine Menschenrechtsverletzung.
VERFASSUNGSRECHT
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Die Freiheit der Person ist unverletzlich (Artikel 2 Grundgesetz - GG).
Die Würde des Menschen ist unantastbar (Artikel 1 GG).
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat hat die Aufgabe, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin (Artikel 3 GG).
Eine Zwangsheirat ist folglich nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar.
ZIVILRECHT
Bei einer Eheschließung gelten unabhängig von der Staatsangehörigkeit grundsätzlich die Gesetze des Landes, in dem die Ehe geschlossen wurde. Nach deutschem Gesetz ist die Ehe ein familienrechtlicher Vertrag, der den freien Willen der Ehepartner voraussetzt (§§ 1310 ff Bürgerliches Gesetzbuch - BGB).
Nach § 1303 Abs. 1 BGB soll die Ehe nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden. Ist ein Ehegatte bei Eingehung der Ehe minderjährig, kann nur das Familiengericht eine Befreiung von diesem Erfordernis erteilen, die Eltern können dies nicht (§ 1303 Absatz 2 BGB).
Eine Zwangsehe kann auf Antrag innerhalb einer Frist von drei Jahren nach ihrer Schließung durch gerichtliches Urteil aufgehoben werden, wenn der Zwang nachgewiesen werden kann (§ 1317 Absatz 1 BGB). Nach Ablauf dieser Frist kommt nur eine Scheidung der Ehe in Betracht.
Ist ein Ehegatte bei Eingehung der Ehe minderjährig, kann nur das Familiengericht eine Befreiung von diesem Erfordernis erteilen, die Eltern können dies nicht (§ 1303 Absatz 2 BGB). Gesetzesänderung seit Juli 2017.
STRAFRECHT
Zwangsheirat stellt einen eigenständigen Straftatbestand im Strafgesetzbuch dar.
Wer einen Menschen zu einer Heirat zwingt, kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden (§237 StGB).
KINDER- UND JUGENDHILFERECHT
Kinder, Jugendliche und junge Volljährige können sich Hilfe suchend an das örtliche Jugendamt wenden. Um Leistungen der Jugendhilfe beziehen zu können, müssen sich ausländische Kinder, Jugendliche bzw. junge Volljährige rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung hier in Deutschland aufhalten.
Ohne Kenntnis der Eltern können Kinder und Jugendliche vom Jugendamt beraten werden, wenn die Beratung aufgrund einer Not- und Konfliktlage erforderlich ist und solange durch die Mitteilung an die Eltern der Beratungszweck vereitelt würde (§ 8 Absatz 3 Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII).
Bitten Kinder oder Jugendliche um Obhut oder erfordert eine dringende Gefahr für das Kindeswohl die sichere Unterbringung, ist das Jugendamt zur Inobhutnahme verpflichtet. Kinder und Jugendliche können auch ohne Zustimmung der Eltern vom Jugendamt in Obhut genommen, also vorläufig bei geeigneten Personen oder Einrichtungen untergebracht werden, wenn der Schutz ansonsten nicht gewährleistet ist. Wenn die Eltern der Inobhutnahme widersprechen, hat das Jugendamt eine gerichtliche Entscheidung einzuholen (§ 42 SGB VIII).
Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen (§ 8a SGB VIII).
Jungen Volljährigen soll auf ihren Antrag hin Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden (§ 41 SGB VIII).
Oftmals werden junge Frauen nicht in Einrichtungen der Jugendhilfe, sondern in Frauenhäusern untergebracht. Dies kann problematisch sein, wenn die achtzehn- bis einundzwanzigjährigen Frauen die Anforderungen an Selbstständigkeit und Eigenständigkeit nicht erfüllen können, die in Frauenhäusern vorausgesetzt werden.
AUFENTHALTSGESETZ
Durch eine Zwangsheirat des Ehegatten ändert sich nicht automatisch der aufenthaltrechtliche Status der Mädchen und jungen Frauen, die hier in Deutschland leben. Wird jedoch der rechtmäßige Aufenthalt vom Ehegatten abgeleitet, entsteht ein von der Ehe unabhängiges eigenständiges Aufenthaltsrecht nach drei Jahren ehelicher Gemeinschaft; beim Vorliegen einer besonderen Härte ist auch schon vorher eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis möglich (§ 31 AufenthG).
Ein Familiennachzug nach Deutschland wird nicht zugelassen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahmen rechtfertigen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde (§ 27 Abs. 1a, 2. AufenthG).
Sofern ausländische Staatsangehörige, die im Besitz eines Aufenthaltstitels sind, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurden, können sie innerhalb von zehn Jahren wieder nach Deutschland einreisen (§ 51 Abs. 4 Satz 2 AufenthG), sofern der Beweis erbracht werden kann, dass sie zwangsverheiratet wurden. Der Antrag ist während dieses Zeitraums innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage zu stellen.
Zudem können sie, wenn ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, ein Recht auf Wiederkehr geltend machen (§ 37 Abs. 2a AufenthG). Voraussetzung ist, dass die Person sich aufgrund der bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik einfügen kann (§ 37 Abs. 2a AufenthG).
GEWALTSCHUTZGESETZ
Unter Umständen können auch Schutzverfügungen nach dem Gewaltschutzgesetz eingeholt werden, wenn jemand den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt oder damit droht (§ 1 GewSchG). Dieses Gesetz kann auch in den Fällen Anwendung finden, in denen die Zwangsehe bereits geschlossen wurde oder Personen aus dem persönlichen oder sonstigem Umfeld das Mädchen bzw. die Frau bedrohen.