Seit 10 Jahren bietet die Fachberatungsstelle gegen Zwangsheirat, gefördert vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen ein umfangreiches Informations-, Präventions- und Beratungsangebot für Betroffene, Unterstützungspersonen und Multiplikator_innen aus NRW an. Über 1600 Betroffene und Ratsuchende konnten in diesem Zeitraum direkt oder vermittelt unterstützt und beraten werden. Das Thema Zwangsverheiratung ist in dieser Zeit sicherlich aus der Tabuzone herausgekommen und hat gleichzeitig nicht an Relevanz und Aktualität verloren.
Immer noch werden Mädchen und Frauen (und auch Männer) dazu gezwungen, einen Menschen zu heiraten, den sie nicht lieben oder kennen.
Ihnen wird damit ein Menschenrecht verwehrt, sie werden in Ihrer Würde verletzt und massiv in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbestimmung eingeschränkt. Noch viel zu oft stehen Mädchen und Frauen vor der „unfassbaren“ Entscheidung, ob sie ihre Familie verlassen müssen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können oder ob sie für die Familie auf eigene Wünsche, Rechte und selbstgewählte Liebe verzichten sollen.
Die Fachberatungsstelle gegen Zwangsheirat des Mädchenhaus Bielefeld e.V. bietet diesen Mädchen und Frauen Unterstützung, Beratung, Halt und „Raum“, um für die meist sehr schwierigen Lebenslagen und großen inneren Nöte Lösungsansätze zu finden. In unserer Arbeit ist es uns besonders wichtig, es den Betroffenen möglichst leicht zu machen, uns zu erreichen. Daher bieten wir vielseitige Wege an, mit uns in Kontakt zu kommen:
Online über eine verschlüsselte E-Mail-Beratung und Chat-Beratung, telefonisch, face-to-face oder auch spontan persönlich nach von uns durchgeführten Präventionsveranstaltungen. Auch das Informationsmaterial ist niedrigschwellig und mädchengerecht aufbereitet und steht in sechs Sprachen sowie ab dato auch in leichter Sprache zur Verfügung. Online sind wir gut vertreten und zu finden z.B. auch mit dem bei Youtube veröffentlichten Kurzfilm Wir gegen Zwangsheirat, der seit kurzem auch in anderen Sprachen und mit Untertiteln zur Verfügung steht. Anlässlich des 10jährigen Jubiläums haben wir einen Relaunch der umfangreichen sechssprachigen Website vorgenommen, so dass die Website ab dato im aktualisiertem Design und mit allen Inhalten für Ratsuchende smartphonekompatibel und barrierefrei zur Verfügung steht.
Ende November diesen Jahres hat die Fachberatungsstelle gegen Zwangsheirat die jährlich stattfindende Bundefachkonferenz Zwangsverheiratung ausgerichtet. Fachfrauen aus dem ganzen Bundesgebiet haben an zwei aufeinander folgenden Tagen zum elften Mal ihre Erfahrungen zum Thema Zwangsverheiratung und familiäre Gewalt ausgetauscht und sich mit aktuellen Fragestellungen und Bedarfen auseinandergesetzt. 40 Expertinnen von insgesamt elf Krisen-Einrichtungen und 15 Fachberatungsstellen für Zwangsverheiratungen waren vertreten.
Als Schwerpunktthemen hatte die Bundesfachkonferenz dieses Jahr zum einen die Umsetzung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen sowie darüber hinaus die spezifischen Bedarfe der Zielgruppe der geflüchteten Mädchen und jungen Frauen. Die Mitglieder der Bundesfachkonferenz begrüßen die neue Gesetzeslage! Sie stellten fest, dass die veränderte Gesetzeslage bei den zuständigen Behörden, Beratungs- und Bildungseinrichtungen noch zu wenig bekannt ist und in der Umsetzung noch viele Fragen offen sind.
Wichtig erscheint allen, dass das Wohl der Mädchen und jungen Frauen auch bei der Umsetzung des neuen Gesetzes im Mittelpunkt stehen muss. Im Rahmen der neuen Gesetzeslage sollte insbesondere im Einzelfall differenziert und nicht über die Köpfe der Mädchen hinweg geprüft werden, ob der Kontakt zu einem eventuellen „Frühehepartner“ dem Wohl des Mädchens schadet oder dient und welche Entscheidungen dementsprechend getroffen werden müssen. Eine gute Voraussetzung für eine fundierte Entscheidung wäre eine kultursensible geschlechtsspezifische Beratung und Kontaktgestaltung in möglichst trauma- und geschlechtsspezifischen Schutzräumen. Diese flächendeckend zur Verfügung zu stellen ist eine der zahlreichen politischen Forderungen aus dem jährlich aktualisierten Positionspapier der Bundesfachkonferenz.